| Aene Gespinst |






aene gespinst.





16.12.11

Zeiten #2

Nach dem letzten Eintrag, der ja sehr zeitzonenkritisch war, muss ich jetzt unbedingt noch etwas sehr Positives schreiben: In Polen ist das Leben leichter.
Zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch an jedem Wochentag, kann ich alles bekommen, was ich brauche, katholisch hin oder her. Gestern Abend zum Beispiel bin ich um 00:10h an einem Geschäft vorbeigekommen und mir ist auf- und eingefallen, dass ich unbedingt Butter für meinen Mitternachtssnack brauche (Brot mit Butter UND Schokoladenaufstrich). Der Mann, der an der Kasse lehnte, hat mich lässig gefragt, ob das fürs Abendessen sei, und ich habe (natürlich ebenso lässig) bestätigt, dass die Butter fürs Abendessen sei („tak, kolacja“). Auch der Supermarkt hat sonntags auf und die Bäckereien im Viertel scheinen ihre Öffnungszeiten so abgesprochen zu haben, dass die Kunden nie ohne frisches Brot (chleb) oder frische Kekse (ciastka) auskommen müssen. Ich finde das großartig. Direkt links von meiner Eingangstür ist außerdem ein kleines Lebensmittelgeschäft, es heißt Fröschchen (żabka), und es hat jeden Tag von 7-23h auf. Es ist einfach klasse, dass ich nie mit der Tatsache konfrontiert werde, dass ich immer nur genau für einen Tag einkaufe.
Und noch etwas: Polen macht mich ganz dekadent. Ich betreibe jetzt Online Shopping für Dinge, die ich in den kleinen Läden meines Viertels nicht bekomme oder nicht tragen will (Wasser, Waschmittel, Säfte – ihr versteht). Alles wird in die Wohnung gebracht, was mich 1,25€ kostet. Und Kochen fällt mir auch zunehmend schwer, wenn ich hausgemachte Pierogi, gefüllt mit Weißkohl und Kartoffelbrei, und Saure-Gurken-Suppe (zupa ogórkowa) für 1,80€ essen kann. Es ist herrlich.  

14.12.11

Zonen, Zeiten

Polen ist in der falschen Zeitzone. Es ist in einer Zeitzone mit Frankreich und Deutschland. Nun denke ich über Polen zwar nicht mehr als ein osteuropäisches Land, sondern als ein mittel- bzw. zentraleuropäisches, so wie es die Polen selbst tun (der Osten fängt in Weißrussland und der Ukraine an). Dennoch muss man sich das mal überlegen: Nehmen wir zum Beispiel Brest. Wrocław ist mit Brest zusammen in einer Zeitzone. Brest liegt 1571km Luftlinie westlich von Wrocław. Während bei uns die Sonne um 7.46h aufgeht, geht sie in Brest erst um 9.00h auf. Aber viel schlimmer ist, dass sie bei uns um 15.46h schon wieder untergeht, in Brest aber noch bis um 17.25h scheint. Sie geht hier also genau 99 Minuten oder ca. 1Std. 40Min. früher unter. Das finde ich ziemlich viel. Ich muss auch nicht extra betonen, dass ich als Studentin, deren Veranstaltungen nie vor 14h anfangen, nicht an einem Aufstehen um 7.46h interessiert bin.
Ich würde sofort eine Petition unterschreiben, die Polen in eine Zeitzone weiter östlich verschieben will. Dann wäre ich in einer Zeitzone mit Weißrussland, die sich Eastern European Time (EET) nennt. Dann könnte ich mit dem Sonnenaufgang um 9.46h aufstehen und den Tag bis um 17.46h genießen, so wie die Leute in Brest das tun. Aber vielleicht sind Zeitzonen auch politisch motiviert und Polen möchte sich nicht mehr als nötig nach Osten orientieren.  

07.12.11

Dzień nikolausowy

Die Überschrift ist eine polnische Wortkreation von mir. Ja, soweit ist es schon gekommen, ich kreiere polnische Wörter. Es soll Nikolaustag heißen, vielleicht können die Polen unter euch das akzeptieren? 


Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen, meine Wohnung ist zu der Lokalität Nummer eins geworden, wenn es ums Feiern geht. Legendäre Parties hat der rostrot gestrichene Holzboden im Wohnzimmer mitgemacht, es wurde auf dem Esstisch getanzt, es wurden Stühle zerbrochen, es wurden erst Paare inflagranti im Badezimmer entdeckt und dann angefeuert, es wurde der Küchenboden 3x gewischt, um nicht auf dem Bier kleben zu bleiben. 


Wir haben aber auch die ruhigeren Abende. Die, an denen keiner mehr gehen will, weil niemand sein Zuhause unserem Wohnzimmer mit Stuck und Flügeltüren vorzieht, wo sich die schläfrige Musik in den abricotfarbenen Wänden ausbreitet. Alle sind träge und versonnen. Das Gespräch verebbt langsam, aber der Sänger leidet gerade so schön. Das Klavier steht offen da, mit Notenblättern, so, als ob jemand spielen würde. Jeder behauptet, genau ein Lied klimpern zu können und ist der Reihe nach dran. 
Vielleicht kann man sich nur in einer Familienwohnung so behaglich fühlen; und vielleicht sollte man ganz generell anachronistisch leben: als Student wie eine Familie, als Familie wie eine WG. Es mangelt uns nicht an Tassen für Glühwein, an hochstieligen Gläsern für Wein, an Schnapsgläsern für Wodka. Sie sind alle in einer Glasvitrine aufgereiht. Wenn sich der harte Kern der Gäste herausgeschält hat, wird das kleine Silbertablett mit den Wodkagläschen herumgereicht. Jeder wählt eines nach seinem Belieben aus. Eines geht kaputt, so jung ist der Abend nicht mehr. Der leicht goldene Bisongraswodka bildet fast Eiskristalle auf dem Glas und geht runter wie Öl. Ohne pierogi ruskie davor zu essen, am besten frittierte, ist ein kleiner Kopfschmerz garantiert. Aber es ist so schön warm im Bauch.