| Aene Gespinst |






aene gespinst.





23.09.11

Speak Easy

Kleine Geschäfte, in denen man spezielle Dinge kaufen kann, gibt es hier wie Sand am Meer. Der Einzelhandel blüht, das finde ich sehr schön. Es ist ein kaum gekanntes Lebensgefühl, keinen Großeinkauf zu machen, sondern eher öfter in Obst- und Gemüsegeschäfte zu gehen, in Bäckereien und Konditoreien, in Spätis, in Schreibwarenläden und in verwegene sklep monopolowy, die fast ausschließlich Alkohol verkaufen, wie der Name erahnen lässt. Subtilerweise steht dann meist groß auf der Fassade dieser Geschäfte: „Alkohol“. Damit gleich klar ist, wie der Hase läuft. Nicht etwa Bier, Wein, Spirituosen, nein – Alkohol kann man hier kaufen. Es gibt auch ein solches Monopolgeschäft mit folgendem Leuchtschriftband: „Wódka :)“
Alkohol darf man in Polen auf der Straße allerdings gar nicht trinken. Während der Orientation Days in der Uni sind wir in den Genuss einer unfreiwillig komödiantischen Performance von einem polnischen Polizeibeamten gekommen. Er hat uns nicht nur seine Handynummer für Notfälle gegeben und das polnische Alkoholverbot in der Öffentlichkeit näher gebracht, sondern setzt sich auch 24h/7 gegen Diskriminierung und Rassismus ein („yes, discrimination!“). Jetzt kann ich mich immer vertraulich an meinem persönlichen Polizisten Herrn Falkewiecz wenden. 

17.09.11

Sch-Laute in allen Farben des Regenbogens

Die polnische Sprache macht es gerade Anfängern nicht leicht, denn schwierige Wörter sind gleichzeitig die alltäglichen Basics: Hallo und Sorry.
Um sich zu begrüßen, muss „cześć“ gesagt werden. Angesichts dieser Herausforderung kann man verstehen, wenn jemand sozialscheu wird. Will man sich nur ganz kurz entschuldigen, sagt man „przepraszam“. Allein der Aufwand, der für die Aussprache dieses Wortes betrieben werden muss, zeugt schon davon, wie leid es einem tatsächlich tut.
Ansonsten steigern sich meine Polnisch-Kenntnisse exponentiell, wie ich schon bemerken durfte. Zunächst habe ich mir den Zahlenraum von 0-10 erschlossen, dann bis 100 und heute bin ich bis 1000 gekommen. Soviel darf schon mal verraten werden: 999 heißt dziewięćset diewięćdziesiąt dziewięć. Aber zum Glück sind Supermarktpreise ja meistens rund. Französische Nasallaute, italienisches gerolltes R oder englisches TH muten gegen Polnisch sehr niedlich an. 

16.09.11

Bitte füttern

Beflissen und zielstrebig arbeite ich mich durch das Angebot der polnischen Küche. Es ist eine (ge)wichtige Angelegenheit, kulinarischer Botschafter zu sein und ich nehme diese Aufgabe sehr ernst. Schwerwiegende Konsequenzen können dabei nicht berücksichtigt werden. Hier eine sehr vorläufige, vegetarische Liste meiner bisherigen Ausbeute (Orthografie ohne Gewähr):

*pierogi z szpinakiem, z kasza, pierogi ruski: ravioliähnliche Nudeln, gefüllt mit Spinat, Buchweizen oder Kartoffelbrei+Quark, in Öl angebraten und mit angeschwitzten Zwiebeln oder Schmand serviert  

*naleśniki z szpinakiem: Crêpes-artige Eierpfannkuchen mit Spinatkäsefüllung, gibt es aber auch mit Quark-Sahne-Füllung  

*knedl truskawkowy: mit Erdbeeren gefüllte Kartoffelteigknödel, mit zerlassener Butter und gerösteten Semmelbröseln. Schon bei dem Namen dieser Speise stelle ich mir eine preußische, mindestens aber böhmische Hausfrau mit Karoschürze vor, die den Hausfrauenbestseller „Sei sparsam!“ im Schrank stehen hat

*surówka: das sind Salate aus geriebenem Gemüse, z.B. Kohl, Karotten, Gurken, auch eingelegte Gurken

*(polnische Bezeichnung entfällt): Frittierte Kartoffelecken mit eingelegtem, gewürztem Weißkohl, das aber überhaupt nicht wie Sauerkraut schmeckt

*LU Petitki: polnische Ausgabe der französischen LU Petit

Fortsetzung folgt bestimmt. 

Hörgerät rückwärts

Unverfroren wende ich meine in einer Woche erworbenen, zugegebenermaßen noch ziemlich rudimentären Polnisch-Kenntnisse an. Die Aussprache der polnischen Wörter bringt mich zwar regelmäßig ins Schwitzen, ich habe aber bisher immer alles bekommen, was ich wollte: Walnüsse, Himbeeren, Kuchen, Kekse (einzeln gekauft!), Ohropax. Für letzteres musste ich mich regelrecht durchfragen. „Durchfragen“ mutet großspurig an, wenn man bedenkt, dass ich eigentlich noch nicht so richtig fragen kann.
Wie ich dank meiner rasant fortschreitenden Kenntnis der polnischen Sprache nachträglich festgestellt habe, habe ich in drei Drogerien und in einer Apotheke gefragt: „Was sind Ohropax?“ und nicht, wo sie sind. Nun ja, beides ist eine berechtigte Frage.
Was sind Ohropax? Die einzigartige Möglichkeit, nicht um 7 Uhr morgens in den Genuss der Housemusic meiner Nachbarn zu kommen.
Wo sind sie? Tief in meinem Gehörgang.

15.09.11

Auf Anfang

Dies sind Aufzeichnungen aus den ersten Tagen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.

01.09.2011
Dresden-Neustadt. 1 ¾ Stunden Aufenthalt.

Es fühlt sich so an, als wäre Deutschland hier zu Ende, als wäre man schon so weit gereist, dass es jetzt eigentlich nicht mehr viel weiter gehen könne. Es geht für mich aber noch ein ganzes Stück Richtung Osten.
Für 2,50€ leiste ich mir gebratene Asia-Nudeln vom Mai-Mai-Imbiss. So bescheiden wie der Preis ausfiel schmecken sie dann auch. In den Tisch, an den ich mich setze, sind kleine Schaukästen eingelassen, in denen alle möglichen Sorten asiatischer Nudeln ausliegen. Das ist überhaupt nicht appetitanregend. Nicht minder eklig hört sich auch die Harzer Blasenwurst an. Sie wird an dem Stand gegenüber als Südharzer Spezialität verkauft und sollte mal über eine Namensänderung nachdenken. Zum zweiten Mal geht eine Frau an mir vorüber, die aussieht, als wolle sie meinen Rucksack klauen (bilde ich mir ein).
Die Nudeln schaffe ich nicht ganz, aber wenn man eine warme Mahlzeit für 2,50€ kauft, darf man auch mal etwas stehen lassen. In London hätte ich das gleiche für 8 Pfund kaufen können. Hätte ich es dann wenigstens aufgegessen? Wahrscheinlich. Ich stelle den Rest in den Geschirrständer, den sich bereits ein Spatz als Futterstelle ausgesucht hat. Noch ein bisschen Sonne aufsaugen, und dann geht es schon weiter über die Grenze.


02.09.2011
Mieszkanie numer 3

Irgendwie war völlig an mir vorbeigegangen, dass in dieser Stadt nachts Autorennen gefahren werden. Und ich mitten drin! Es stand zwar Taxi auf meinem Rennauto und der Fahrer wollte dann auch noch Geld von mir, aber ich habe die ganze Aktion ziemlich schnell durchschaut. 
Eine Nacht mit lauter neuen, urbanen Geräuschen und ein Tag voller Putzlappen liegen hinter mir. Der Altbau wird nachts von den klingelnden Straßenbahnen erschüttert, die jedoch irgendwann aufhören zu fahren.
Der Tag beginnt mit einem Schwätzchen auf polnisch, das mir die Verwalterin der Wohnung munter aufdrückt. Ab und zu verstehe ich ein Wort – entweder, weil es so ähnlich klingt wie im Deutschen (mit einem -owy, einem -tki oder Ähnlichem am Ende) oder weil ich es tatsächlich kenne (selten) – dann erhellt sich meine Miene, ich sage „tak tak“ oder „dobrze“, weil man das hier so sagt, wenn man einverstanden ist. Auf polnisch kann ich bisher nur einverstanden sein. Vielleicht hätte ich noch deutlicher machen sollen, dass ich nichts verstehe, anstatt mit den zwei Wörtern, die ich kenne, nicht geizen zu wollen? Nun gut, ich glaube, ich habe auch so verstanden, wo die Kissenbezüge sind und dass die Verwalterin es nicht nötig findet, den Badezimmerteppich zu waschen. Den hatte ich eifrig schon mal in den Wäschekorb gegeben, und sie hat ihn wieder herausgefischt. Außerdem habe ich inzwischen meinen dritten Mietvertrag unterschrieben, was ihn nicht zwangsläufig legaler, dafür aber quantitativ performanter macht.  
Dann habe ich mir die Wohnung vorgeknöpft. Altbau-Charme mischt sich mit dem zweifelhaften Charme kommunistischer Plastikverehrung der 70er-Jahre. Hier muss die Spreu vom Weizen getrennt werden. Am Ende des Tages kann man sich glücklich schätzen, wenn man selbst so frisch wie das Badezimmer aussieht. Auch in meinem Zimmer nimmt das Wohlbefinden zarte Formen an. Wohnzimmer und Küche sind härtere Brocken. Das Wohnzimmer schmückt sich mit Plastikblumen, Kreuzen und Papstbildern, die ich noch unauffällig verschwinden lassen muss; die Küche hat im Laufe ihres Lebens ein bisschen zu viele verwaschene Tapeten-, Plastik- und Linoleumfarbnuancen gesehen.
Alternativ könnte ich hier auch ein Museum aufmachen. 


Dieses herzerweichende Arrangement hat sich eine kleine Auszeit genommen.