| Aene Gespinst |






aene gespinst.





16.12.11

Zeiten #2

Nach dem letzten Eintrag, der ja sehr zeitzonenkritisch war, muss ich jetzt unbedingt noch etwas sehr Positives schreiben: In Polen ist das Leben leichter.
Zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch an jedem Wochentag, kann ich alles bekommen, was ich brauche, katholisch hin oder her. Gestern Abend zum Beispiel bin ich um 00:10h an einem Geschäft vorbeigekommen und mir ist auf- und eingefallen, dass ich unbedingt Butter für meinen Mitternachtssnack brauche (Brot mit Butter UND Schokoladenaufstrich). Der Mann, der an der Kasse lehnte, hat mich lässig gefragt, ob das fürs Abendessen sei, und ich habe (natürlich ebenso lässig) bestätigt, dass die Butter fürs Abendessen sei („tak, kolacja“). Auch der Supermarkt hat sonntags auf und die Bäckereien im Viertel scheinen ihre Öffnungszeiten so abgesprochen zu haben, dass die Kunden nie ohne frisches Brot (chleb) oder frische Kekse (ciastka) auskommen müssen. Ich finde das großartig. Direkt links von meiner Eingangstür ist außerdem ein kleines Lebensmittelgeschäft, es heißt Fröschchen (żabka), und es hat jeden Tag von 7-23h auf. Es ist einfach klasse, dass ich nie mit der Tatsache konfrontiert werde, dass ich immer nur genau für einen Tag einkaufe.
Und noch etwas: Polen macht mich ganz dekadent. Ich betreibe jetzt Online Shopping für Dinge, die ich in den kleinen Läden meines Viertels nicht bekomme oder nicht tragen will (Wasser, Waschmittel, Säfte – ihr versteht). Alles wird in die Wohnung gebracht, was mich 1,25€ kostet. Und Kochen fällt mir auch zunehmend schwer, wenn ich hausgemachte Pierogi, gefüllt mit Weißkohl und Kartoffelbrei, und Saure-Gurken-Suppe (zupa ogórkowa) für 1,80€ essen kann. Es ist herrlich.  

14.12.11

Zonen, Zeiten

Polen ist in der falschen Zeitzone. Es ist in einer Zeitzone mit Frankreich und Deutschland. Nun denke ich über Polen zwar nicht mehr als ein osteuropäisches Land, sondern als ein mittel- bzw. zentraleuropäisches, so wie es die Polen selbst tun (der Osten fängt in Weißrussland und der Ukraine an). Dennoch muss man sich das mal überlegen: Nehmen wir zum Beispiel Brest. Wrocław ist mit Brest zusammen in einer Zeitzone. Brest liegt 1571km Luftlinie westlich von Wrocław. Während bei uns die Sonne um 7.46h aufgeht, geht sie in Brest erst um 9.00h auf. Aber viel schlimmer ist, dass sie bei uns um 15.46h schon wieder untergeht, in Brest aber noch bis um 17.25h scheint. Sie geht hier also genau 99 Minuten oder ca. 1Std. 40Min. früher unter. Das finde ich ziemlich viel. Ich muss auch nicht extra betonen, dass ich als Studentin, deren Veranstaltungen nie vor 14h anfangen, nicht an einem Aufstehen um 7.46h interessiert bin.
Ich würde sofort eine Petition unterschreiben, die Polen in eine Zeitzone weiter östlich verschieben will. Dann wäre ich in einer Zeitzone mit Weißrussland, die sich Eastern European Time (EET) nennt. Dann könnte ich mit dem Sonnenaufgang um 9.46h aufstehen und den Tag bis um 17.46h genießen, so wie die Leute in Brest das tun. Aber vielleicht sind Zeitzonen auch politisch motiviert und Polen möchte sich nicht mehr als nötig nach Osten orientieren.  

07.12.11

Dzień nikolausowy

Die Überschrift ist eine polnische Wortkreation von mir. Ja, soweit ist es schon gekommen, ich kreiere polnische Wörter. Es soll Nikolaustag heißen, vielleicht können die Polen unter euch das akzeptieren? 


Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen, meine Wohnung ist zu der Lokalität Nummer eins geworden, wenn es ums Feiern geht. Legendäre Parties hat der rostrot gestrichene Holzboden im Wohnzimmer mitgemacht, es wurde auf dem Esstisch getanzt, es wurden Stühle zerbrochen, es wurden erst Paare inflagranti im Badezimmer entdeckt und dann angefeuert, es wurde der Küchenboden 3x gewischt, um nicht auf dem Bier kleben zu bleiben. 


Wir haben aber auch die ruhigeren Abende. Die, an denen keiner mehr gehen will, weil niemand sein Zuhause unserem Wohnzimmer mit Stuck und Flügeltüren vorzieht, wo sich die schläfrige Musik in den abricotfarbenen Wänden ausbreitet. Alle sind träge und versonnen. Das Gespräch verebbt langsam, aber der Sänger leidet gerade so schön. Das Klavier steht offen da, mit Notenblättern, so, als ob jemand spielen würde. Jeder behauptet, genau ein Lied klimpern zu können und ist der Reihe nach dran. 
Vielleicht kann man sich nur in einer Familienwohnung so behaglich fühlen; und vielleicht sollte man ganz generell anachronistisch leben: als Student wie eine Familie, als Familie wie eine WG. Es mangelt uns nicht an Tassen für Glühwein, an hochstieligen Gläsern für Wein, an Schnapsgläsern für Wodka. Sie sind alle in einer Glasvitrine aufgereiht. Wenn sich der harte Kern der Gäste herausgeschält hat, wird das kleine Silbertablett mit den Wodkagläschen herumgereicht. Jeder wählt eines nach seinem Belieben aus. Eines geht kaputt, so jung ist der Abend nicht mehr. Der leicht goldene Bisongraswodka bildet fast Eiskristalle auf dem Glas und geht runter wie Öl. Ohne pierogi ruskie davor zu essen, am besten frittierte, ist ein kleiner Kopfschmerz garantiert. Aber es ist so schön warm im Bauch.  



15.11.11

Das Heizkissen ist super, nur heizt es nicht.

Zugegeben, wenn man sich auf die Suche nach einem derart uncoolen Produkt wie einem Heizkissen macht, ist man selber schuld. Oder ganz schön verzweifelt. Beides trifft auf mich zu. Man muss sich auf das schlimmste gefasst machen. Aber so schlimm? Vielleicht gibt es einen hohen Übereinstimmungsgrad zwischen ich-brauche-Wärme und ich-brauche-ein-bisschen-Zuwendung. Oder zwischen ich-brauche-Wärme und ich-habe-zu-viel-Zeit-Kundenmeinungen-zu-schreiben. 

Liebe Netzgemeinde, das Leben ist hart:

"Dies ist kein Kissen, sondern ein Brett. Dazu noch eins aus billigstem Plastik, das ganz gemeine Geräusche macht, wenn man es bewegt. Es sich um Nacken und Schultern zu legen, gelingt nicht, da es, wie erwähnt, bretthart ist. Ganz besonders gut hat mir der "Überhitzungsschutz" gefallen. Ein Gerät, das gar nicht erst funktioniert, kann auch nicht überhitzen. Um das Gerät in Hals-Nacken-Schulter-Nähe zu bekommen, könnte man erst das Heizbrett anlegen und dann das Kabel rumwickeln. Nicht zu fest zuziehen, sonst würgt es! Der Preis ist äußerst günstig, aber für ein defektes Heizbrett doch zu teuer." 

"Habe gelesen, dass Heizkissen kaum heiss wird,- genau das habe für meine halbnagte Katze aber gesucht. Das ist war, heiss wird es nie. Die Katze ist glücklich: das Kissen gibt sehr regelmessiges und sicheres Temperatur. Empfelenswert für nagte Katzen."  

"Der Versand ging super schnell. Was mir dabei nicht gefallen hat, ist dass es unverklebt versand wurde... Jeder hätte sich an meinem Päckchen bedienen können."

"Laut Anleitung darf man sich auf dieses Kissen nicht drauflegen und im Bett darf man es auch nicht benutzen. Ganz im Gegensatz übrigens zu dem Bild auf der Verpackung... Bei Rückenschmerzen will man sich ja nun eigentlich mal gern auf ein Heizkissen, vielleicht sogar auf eine Matratze legen. Habe es zurückgeschickt."

"...daher rief ich beim Verkäufer an, um zu fragen, wie genau ich den Artikel wohin zurück schicken könnte... Ich wurde von dem guten Mann angeblöfft, als hätte ich ihn oder seine Mutter persönlich beleidigt...Meine Wärmeempfinden sei wohl völlig gestört, ich müsste mal zum Arzt gehen... Und das in einem völlig humorlosen Ton. Irgendwann war's mir zu blöd und ich habe aufgelegt. Lieber wollte ich dieses leider nutzlose Kissen behalten, als mich länger mit diesem Kerl abgeben..." 

"Dieses Heizkissen ist leicht zu bedienen. Es wird schnell warm, erreicht nur nicht die von mir erwünschte Temperatur. Ansonsten bin ich zufrieden."

"Ich bin eine erfahrene Heizkissenuserin. Ich bin von meinem neuen Heizkissen echt begeistert."     

Das sind Geschichten, die das Leben schreibt. Welches Heizkissen soll ich denn nun, als weniger gewiefte Heizkissenconnaisseurin, wählen? 

09.11.11

ae proudly presents


Erika Naumann ist eine Schreibmaschine, die nun in meinem Besitz ist. Sie ist wunderschön, sehr alt und natürlich noch funktionstüchtig. (Die Polen bringen schließlich alles wieder zum Laufen).  
Ich weiß nicht genau, ob das mein Modell ist, aber ungefähr so dürft ihr euch sie vorstellen.
Man braucht ganz schön Power, um die Tasten herunterzudrücken, bis die Buchstaben dann krachend auf dem Papier landen. Wenn man nicht fest genug drückt, wird der Buchstabe nicht so schön schwarz. 
Hach, es verspricht ein großer Spaß zu werden. 

01.11.11

Polska, lovely

Welcome back, habe ich gestern Abend zu mir selbst gesagt. Nach 12 Stunden Zugfahrt, während denen mein Po vermutlich skandalös platt geworden ist, war ich zwar zu müde, um mein frisches Kaugummi anständig zu kauen. Aber wenn man an neue Orte zieht, was ich ja regelmäßig (eigentlich exzessiv) tue, dann hat es einen schönen Effekt, kurz diesen neuen Ort zu verlassen (nach der ersten Eingewöhnungsphase) und dann wiederzukommen. 
Erst nach dieser kurzen Abwesenheit ist es jetzt wirklich mein Ort - der Ort, an dem ich lebe, studiere, nette Menschen kenne. Der Ort, in dem ich in einer rüttelnden Straßenbahn sitze und mich mächtig über das Geschäft "Alcoholove" amüsiere, an dem wir vorbei fahren. Der Ort, an dem man nicht sexy und elegant ist, sondern seksowny und elegancki, aber das dann auch richtig. Der Ort, der im Winter noch stechender nach Kohle riecht als Ostdeutschland. Das erste Mal zurückkommen, mich angekommen fühlen an einem Ort, der vor zwei Monaten noch ganz fremd war. 


Oh - und heute ist Allerheiligen, ganz großes Mikado hier in Polen. Der Friedhof war voll hunderter Kerzen, die das gelbe Herbstkleid der Bäume angestrahlt haben und unsere Gesichter auch und wir waren alle ganz friedlich und versonnen. 

12.10.11

Change is the ultimate nature of things. Change is permanent.

























Ich wohne in einer komplett eingerichteten Wohnung. Zur Hälfte sind es meine Sachen, zur Hälfte gehören sie den Besitzern, die die Wohnung 1989 verlassen haben. Somit besitze ich für eine Studentin eine ungewöhnlich große Geschirrsammlung. Zu jedem Anlass, besonders zum Trinken geringer Mengen Hochprozentigem, verfüge ich über das adäquate Trinkgefäß. Ich habe aber auch Kuchenplatten, Eierschneider, Pökelhölzer, Schaumlöffel, etc.  

Das neue Leben braucht viel Energie. Deshalb futtere ich im Moment sehr viel Brot mit Schokoladenaufstrichen, da ich ständig das Gefühl habe, schnell verfügbare Energie zu brauchen, um alle Speicher aufzufüllen, die sich permanent entleeren. Jeden Tag etwas Neues, Spannendes, oder Nerviges, Lästiges.
Ein Alltag zeichnet sich noch nicht ab. Irgendwann wird jeder einzelne Wochentag seinen Ablauf, sein Profil haben; ich werde die Wege, Orte und Kombination aus Leuten auswendig kennen, aus denen jeder Tag besteht. Das nennt man wohl Routine oder Alltag und ich finde es ganz bemerkenswert, dass ich mich gerade nach so etwas sehne. Irgendwann werde ich diesen Rhythmus wahrscheinlich gefunden haben, aber im Moment wird hauptsächlich improvisiert. 

09.10.11

Update: Polnische Küche

Wie versprochen oder angedroht, habe ich mich weiter durchgefuttert. Teil II meiner gastronomischen Ausflüge:

* Rote Beete! Ein Muss. Lecker gerieben und leicht frittiert als lauwarmer Salat. Oder natürlich in Form der klaren Rote-Beete-Suppe (barszcz czerwony) oder verfeinert mit Sour Cream – es können auch Kartoffeln oder kleine Pierogi drinschwimmen.  

* Graupensuppe. So einfach, und schmeckt.

* Pierogi mit Kohl- und Pilzfüllung (pierogi z kapusta i grzybami). Diese Pierogi-Sorte habe ich erst jetzt goûtiert und für gut befunden. 

* Backkartoffel mit körnigem Frischkäse und Dill.

* Kuchen! (!!!!!) Der Renner bisher: ciasto orzechowe. Vier Schichten: 1. leicht weihnachtlich gewürzter Biskuit, 2. Sahnecreme, 3. nochmal Biskuit, 4. karamellisierte Walnusshälften mit Honigüberzug. Gerade jetzt hätte ich unglaublich gerne ein Stück ciasto orzechowe. Als Surrogat schiebe ich mir mal schnell ein Stück Schokolade rein.

* Milchbars (bar mleczny). Ich war nun schon in verschiedenen Milchbars, mensaartige kleine Restaurants mit Service an der Theke und meist guter Qualität. Und mit Kultstatus natürlich. Und mit Sowietfeeling, das durch den vereinten Charme moderater Preise und als Deko kaum adäquat zu bezeichnender Raumelemente entsteht. Meine liebste Milchbar ist die in meiner Nachbarschaft, wo Familien, Arbeiter, Senioren und verwirrte Weststudenten wie ich zusammen ein 3-gängiges Mittagessen für 1,50€ essen. Bestellt wird natürlich auf polnisch.


Es gibt sehr viele schöne Restaurants, Cafés und Milchbars hier, die ihren unverstellten Charme nicht auf einem Retroflohmarkt gekauft haben. 
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Und noch ganz randommäßig ein Link für euch, der mich sehr fröhlich gemacht hat: Klick mich an

08.10.11

Sommer in Dresden #2



























Dresden, lichtdurchflutet, eine Stadt, in die ich sofort ziehen würde. Überall gibt es schöne Ecken zu entdecken.  
Mit diesen Bildern ist meine Sommerrückschau vermutlich auch schon beendet - und wenn wir mal ehrlich sind, ist es eh eine sehr anachronistische Idee gewesen, jetzt noch Bilder vom Sommer zu posten. Denn es ist heute nochmal ein bisschen kälter geworden hier - der polnische Winter schickt schon mal eine zarte Vorahnung. Da ich als äußerst kältemepfindliches Wesen schon Schiss vor dem Winter habe, habe ich mir gestern einen richtigen Pullover gekauft, mit Norwegermuster, Alpakawolle und allem drum und dran.  

07.10.11

Sommer in Dresden #1

























Gartenidyll meiner Schwester. 
Hängemattenidyll. 
Es waren schöne faule heiße Tage in einer schönen Stadt. 
Schnell noch ein paar Sommererinnerungen festhalten, da heute der Herbst gekommen ist. 

03.10.11

Letzten Sommer auf der Alm





Berge, Ruhe, Kraft und eine Wasserwolke. 

Ein weit gereister analoger Film ist bei mir angekommen und hat Sommerbilder zum Vorschein gebracht, die schöne Erinnerungen wecken. Die nächsten Tage werdet ihr also Rückblenden sehen aus meinem Sommer, den ich in Deutschland und in der Schweiz verbracht habe. Vielleicht ist das auch ein guter Abschluss, bevor ich Bilder meiner neuen Stadt schießen werde. 
Mein Blog ist nicht sehr chronologisch, aber er ist auch kein Tagebuch. Vielleicht fehlt ihm einfach jegliches Konzept, mal kommen Bilder, mal Texte, mal von jetzt, mal von vor Tagen oder Monaten. Mir machts trotzdem Spaß und ich hoffe, euch auch. 

23.09.11

Speak Easy

Kleine Geschäfte, in denen man spezielle Dinge kaufen kann, gibt es hier wie Sand am Meer. Der Einzelhandel blüht, das finde ich sehr schön. Es ist ein kaum gekanntes Lebensgefühl, keinen Großeinkauf zu machen, sondern eher öfter in Obst- und Gemüsegeschäfte zu gehen, in Bäckereien und Konditoreien, in Spätis, in Schreibwarenläden und in verwegene sklep monopolowy, die fast ausschließlich Alkohol verkaufen, wie der Name erahnen lässt. Subtilerweise steht dann meist groß auf der Fassade dieser Geschäfte: „Alkohol“. Damit gleich klar ist, wie der Hase läuft. Nicht etwa Bier, Wein, Spirituosen, nein – Alkohol kann man hier kaufen. Es gibt auch ein solches Monopolgeschäft mit folgendem Leuchtschriftband: „Wódka :)“
Alkohol darf man in Polen auf der Straße allerdings gar nicht trinken. Während der Orientation Days in der Uni sind wir in den Genuss einer unfreiwillig komödiantischen Performance von einem polnischen Polizeibeamten gekommen. Er hat uns nicht nur seine Handynummer für Notfälle gegeben und das polnische Alkoholverbot in der Öffentlichkeit näher gebracht, sondern setzt sich auch 24h/7 gegen Diskriminierung und Rassismus ein („yes, discrimination!“). Jetzt kann ich mich immer vertraulich an meinem persönlichen Polizisten Herrn Falkewiecz wenden. 

17.09.11

Sch-Laute in allen Farben des Regenbogens

Die polnische Sprache macht es gerade Anfängern nicht leicht, denn schwierige Wörter sind gleichzeitig die alltäglichen Basics: Hallo und Sorry.
Um sich zu begrüßen, muss „cześć“ gesagt werden. Angesichts dieser Herausforderung kann man verstehen, wenn jemand sozialscheu wird. Will man sich nur ganz kurz entschuldigen, sagt man „przepraszam“. Allein der Aufwand, der für die Aussprache dieses Wortes betrieben werden muss, zeugt schon davon, wie leid es einem tatsächlich tut.
Ansonsten steigern sich meine Polnisch-Kenntnisse exponentiell, wie ich schon bemerken durfte. Zunächst habe ich mir den Zahlenraum von 0-10 erschlossen, dann bis 100 und heute bin ich bis 1000 gekommen. Soviel darf schon mal verraten werden: 999 heißt dziewięćset diewięćdziesiąt dziewięć. Aber zum Glück sind Supermarktpreise ja meistens rund. Französische Nasallaute, italienisches gerolltes R oder englisches TH muten gegen Polnisch sehr niedlich an. 

16.09.11

Bitte füttern

Beflissen und zielstrebig arbeite ich mich durch das Angebot der polnischen Küche. Es ist eine (ge)wichtige Angelegenheit, kulinarischer Botschafter zu sein und ich nehme diese Aufgabe sehr ernst. Schwerwiegende Konsequenzen können dabei nicht berücksichtigt werden. Hier eine sehr vorläufige, vegetarische Liste meiner bisherigen Ausbeute (Orthografie ohne Gewähr):

*pierogi z szpinakiem, z kasza, pierogi ruski: ravioliähnliche Nudeln, gefüllt mit Spinat, Buchweizen oder Kartoffelbrei+Quark, in Öl angebraten und mit angeschwitzten Zwiebeln oder Schmand serviert  

*naleśniki z szpinakiem: Crêpes-artige Eierpfannkuchen mit Spinatkäsefüllung, gibt es aber auch mit Quark-Sahne-Füllung  

*knedl truskawkowy: mit Erdbeeren gefüllte Kartoffelteigknödel, mit zerlassener Butter und gerösteten Semmelbröseln. Schon bei dem Namen dieser Speise stelle ich mir eine preußische, mindestens aber böhmische Hausfrau mit Karoschürze vor, die den Hausfrauenbestseller „Sei sparsam!“ im Schrank stehen hat

*surówka: das sind Salate aus geriebenem Gemüse, z.B. Kohl, Karotten, Gurken, auch eingelegte Gurken

*(polnische Bezeichnung entfällt): Frittierte Kartoffelecken mit eingelegtem, gewürztem Weißkohl, das aber überhaupt nicht wie Sauerkraut schmeckt

*LU Petitki: polnische Ausgabe der französischen LU Petit

Fortsetzung folgt bestimmt. 

Hörgerät rückwärts

Unverfroren wende ich meine in einer Woche erworbenen, zugegebenermaßen noch ziemlich rudimentären Polnisch-Kenntnisse an. Die Aussprache der polnischen Wörter bringt mich zwar regelmäßig ins Schwitzen, ich habe aber bisher immer alles bekommen, was ich wollte: Walnüsse, Himbeeren, Kuchen, Kekse (einzeln gekauft!), Ohropax. Für letzteres musste ich mich regelrecht durchfragen. „Durchfragen“ mutet großspurig an, wenn man bedenkt, dass ich eigentlich noch nicht so richtig fragen kann.
Wie ich dank meiner rasant fortschreitenden Kenntnis der polnischen Sprache nachträglich festgestellt habe, habe ich in drei Drogerien und in einer Apotheke gefragt: „Was sind Ohropax?“ und nicht, wo sie sind. Nun ja, beides ist eine berechtigte Frage.
Was sind Ohropax? Die einzigartige Möglichkeit, nicht um 7 Uhr morgens in den Genuss der Housemusic meiner Nachbarn zu kommen.
Wo sind sie? Tief in meinem Gehörgang.

15.09.11

Auf Anfang

Dies sind Aufzeichnungen aus den ersten Tagen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.

01.09.2011
Dresden-Neustadt. 1 ¾ Stunden Aufenthalt.

Es fühlt sich so an, als wäre Deutschland hier zu Ende, als wäre man schon so weit gereist, dass es jetzt eigentlich nicht mehr viel weiter gehen könne. Es geht für mich aber noch ein ganzes Stück Richtung Osten.
Für 2,50€ leiste ich mir gebratene Asia-Nudeln vom Mai-Mai-Imbiss. So bescheiden wie der Preis ausfiel schmecken sie dann auch. In den Tisch, an den ich mich setze, sind kleine Schaukästen eingelassen, in denen alle möglichen Sorten asiatischer Nudeln ausliegen. Das ist überhaupt nicht appetitanregend. Nicht minder eklig hört sich auch die Harzer Blasenwurst an. Sie wird an dem Stand gegenüber als Südharzer Spezialität verkauft und sollte mal über eine Namensänderung nachdenken. Zum zweiten Mal geht eine Frau an mir vorüber, die aussieht, als wolle sie meinen Rucksack klauen (bilde ich mir ein).
Die Nudeln schaffe ich nicht ganz, aber wenn man eine warme Mahlzeit für 2,50€ kauft, darf man auch mal etwas stehen lassen. In London hätte ich das gleiche für 8 Pfund kaufen können. Hätte ich es dann wenigstens aufgegessen? Wahrscheinlich. Ich stelle den Rest in den Geschirrständer, den sich bereits ein Spatz als Futterstelle ausgesucht hat. Noch ein bisschen Sonne aufsaugen, und dann geht es schon weiter über die Grenze.


02.09.2011
Mieszkanie numer 3

Irgendwie war völlig an mir vorbeigegangen, dass in dieser Stadt nachts Autorennen gefahren werden. Und ich mitten drin! Es stand zwar Taxi auf meinem Rennauto und der Fahrer wollte dann auch noch Geld von mir, aber ich habe die ganze Aktion ziemlich schnell durchschaut. 
Eine Nacht mit lauter neuen, urbanen Geräuschen und ein Tag voller Putzlappen liegen hinter mir. Der Altbau wird nachts von den klingelnden Straßenbahnen erschüttert, die jedoch irgendwann aufhören zu fahren.
Der Tag beginnt mit einem Schwätzchen auf polnisch, das mir die Verwalterin der Wohnung munter aufdrückt. Ab und zu verstehe ich ein Wort – entweder, weil es so ähnlich klingt wie im Deutschen (mit einem -owy, einem -tki oder Ähnlichem am Ende) oder weil ich es tatsächlich kenne (selten) – dann erhellt sich meine Miene, ich sage „tak tak“ oder „dobrze“, weil man das hier so sagt, wenn man einverstanden ist. Auf polnisch kann ich bisher nur einverstanden sein. Vielleicht hätte ich noch deutlicher machen sollen, dass ich nichts verstehe, anstatt mit den zwei Wörtern, die ich kenne, nicht geizen zu wollen? Nun gut, ich glaube, ich habe auch so verstanden, wo die Kissenbezüge sind und dass die Verwalterin es nicht nötig findet, den Badezimmerteppich zu waschen. Den hatte ich eifrig schon mal in den Wäschekorb gegeben, und sie hat ihn wieder herausgefischt. Außerdem habe ich inzwischen meinen dritten Mietvertrag unterschrieben, was ihn nicht zwangsläufig legaler, dafür aber quantitativ performanter macht.  
Dann habe ich mir die Wohnung vorgeknöpft. Altbau-Charme mischt sich mit dem zweifelhaften Charme kommunistischer Plastikverehrung der 70er-Jahre. Hier muss die Spreu vom Weizen getrennt werden. Am Ende des Tages kann man sich glücklich schätzen, wenn man selbst so frisch wie das Badezimmer aussieht. Auch in meinem Zimmer nimmt das Wohlbefinden zarte Formen an. Wohnzimmer und Küche sind härtere Brocken. Das Wohnzimmer schmückt sich mit Plastikblumen, Kreuzen und Papstbildern, die ich noch unauffällig verschwinden lassen muss; die Küche hat im Laufe ihres Lebens ein bisschen zu viele verwaschene Tapeten-, Plastik- und Linoleumfarbnuancen gesehen.
Alternativ könnte ich hier auch ein Museum aufmachen. 


Dieses herzerweichende Arrangement hat sich eine kleine Auszeit genommen.

31.08.11

Nordlicht






Turner Contemporary, Margate.


Dieses Museum ist William Turner gewidmet, der in Margate ein paar seiner berühmten Bilder gemalt hat und sich immer wieder von dem Licht dort inspiriert gefühlt hat. Chipperfield hat das Museum gebaut und es sehr gelungen geschafft, das besondere Licht im Gebäude einzufangen. 
Es war ein richtig schöner Ausstellungsbesuch, denn das Wetter war ausnahmsweise wunderschön (der Sommer in Kent ist nicht immer Zuckerschlecken) und ich hatte nichts zu tun. Ich hatte sogar fast Langeweile, sodass Chipperfields Museum als einziges modernes architektonisches Highlight in der Region die optimale Beschäftigung war. 
Ich habe die Fotos erst jetzt wieder in digitalen Bilderfluten entdeckt und wollte sie noch gerne posten, bevor ich morgen gen Osten aufbreche.

27.08.11

Über Kunst schreiben

Sunflower Seeds von Ai Weiwei



In zwei Ausstellungen war ich in letzter Zeit, die mir wirklich sehr gut gefallen haben.
1. in der Gabriel Orozco-Ausstellung in der Tate Modern, woher auch die Bilder stammen und 2. in der Sibylle-Bergemann Ausstellung im C/O Berlin. (Hier und hier waren schon begeisterte Bloggerinnen dazu zu lesen).

Gabriel Orozco macht aus Alltagsgegenständen, also oft aus scheinbar nichts, Kunst. Es ist trotzdem nie banal, aber auch nicht aufgeregt; er verpasst Dingen einfach einen kleinen „Twist“, eine Ironie oder eine unaufdringliche Dramatik. Das an sich ist sehr beeindruckend und unterhaltsam. Orozco hat zum Beispiel einen menschlichen Schädel mit einem unglaublich regelmäßigen Schachbrettmuster bemalt (Bleistift!); er hat einer Portion Ton die Form des Hohlraums zwischen seinen Händen gegeben (sieht aus wie ein Herz); er hat ein Auto (eine DS) zerschnitten, den Mittelteil herausgenommen und wieder zusammengebaut; er ist mit einer gelben Schwalbe durch Berlin gefahren und hat alle anderen gelben Schwalben fotografiert; er hat auf ein Klavier gehaucht und seinen Atem fotografiert, bevor dieser ganz schnell wieder verschwunden wäre; er hat einen Ventilator mit Klopapierrollen behängt, was sehr graziös aussieht, wenn der sich dreht; er hat eine große Gummikugel durch Berlin gerollt, in der sich dann die Abdrücke der Stadt wiederfanden, usw. Ich stelle mir da einen Künstler vor, der seine Umwelt aufmerksam und sehr verspielt wahrnimmt und einfängt und das allein ist doch vollkommen ausreichend.

Die Beschreibungen in dem kleinen Faltblatt, das es am Eingang der Ausstellung gab, nehmen dem ganzen jedoch seine Subtilität und haben mich wie häufig eher genervt. Die Objekte werden mit symbolischer Kraft überladen oder mit nichtssagenden Worthülsen beschrieben, wo es eigentlich nichts zu beschreiben gibt.
Orozco hat zum Beispiel eine Skulptur gemacht, die aus den Haar-, Haut- und Stoffresten besteht, die sich als filzige Lappen in Waschmaschinen öffentlicher Waschsalons sammeln. Diese Lappen hat er über Leinen gehängt und da hängen sie und jeder sieht etwas anderes darin. Die Beschreibung sieht darin „a meditation on the body and the precariousness of human life“ und: „in the immediate aftermath of September 11 the ash-coloured lint took a poignant significance“  - das scheint mit doch ein bisschen dick aufgetragen, Leben, Tod und Terror – alles soll in diesem Objekt stecken! Ich finde die Haarlappenaktion schon so einfallsreich und eklig an sich, dass ich darin nicht noch den 11. September sehen muss. Faszinierend, dass Orozco den Ekel vor den Fetzen überwunden hat. Andererseits kommen sie ja frisch aus der Waschmaschine.

Ein anderes Phänomen in Ausstellungsbroschüren ist eine beliebige Sprache, angereichert mit ein paar modernen Schlagworten, die dem Betrachter vermitteln sollen, dass jede Interpretation möglich und eine Festlegung unzulässig ist. Zu Sibylle Bergemanns Polaroid-Ausstellung liest man: „Ihre Fotografien sind vielschichtig (...), so dass man sie immer wieder anders, neu betrachten und verstehen kann.“ – Wer hätte sich das ohne diesen Satz getraut? Außerdem wird darauf hingewiesen, dass eine Fotografie „vergänglich ist“, das Jetzt ist auch „flüchtig, fragil und (...) schwer zu fassen“, „Augenblick und Ewigkeit“ liegen aber dennoch nah beieinander auf einem Foto und schließlich sind „genau diese oszillierenden Ebenen und das Vergängliche in all ihren Bildern unverwechselbar.“ Aha. Das wird Bergemann nicht gerecht, denn eigentlich hält doch jedes Foto einen vergänglichen Moment fest, der sich nicht reproduzieren lässt.

Ich warte noch auf Kunstbeschreibungen, die das Kunstwerk nicht mit Bedeutung erdrücken, die noch gewaltiger als die Kunst daherkommen möchten, die andererseits aber auch nicht ganz so nichtssagend sind! 

08.08.11

Last Bit






Die Suspension Bridge in Bristol. (Auch eine tolle Stadt). Nach einem Regenguss in dem schönen nordischen Licht glänzend.


(Wow, dies ist mein hundertster Post. Nicht so viel, wenn ich mal darüber nachdenke, wie lange ich das hier eigentlich schon mache).

06.08.11

Bottled in Bath


































Dieses wunderschöne kleine Museum in Bath ist entstanden, als ein großer Mineralwasser- und Limonadenhersteller, Bowler, sein Geschäft aufgegeben hat. Bowler hat allerdings auch vieles andere produziert, denn wer überhaupt Maschinen besaß, der konnte eigentlich gleich alles mögliche herstellen. 
Sonst ist Bath eher für seine römischen Bäder bekannt, aber die Höhe des Eintritts schreckt den Studenten ab, wie leider so oft in England. So haben wir der Arbeitervergangenheit Baths nachgespürt, auch wenn das eher ungewöhnlich ist für diese reiche, sandsteinfarbene, edle Stadt. 

31.07.11

Bye Bye Nummer Zwei





Kann ich 2x Tschüs sagen? Ich denke schon. Ich denke auch, dass noch ein paar Bilder nachgetröpfelt werden kommen aus England. Aus den hintersten Winkeln analoger Fotoapparate oder digitaler Bildbearbeitungsprogramme sozusagen. Inzwischen sind mir auch gleich noch ein paar mehr Dinge eingefallen, die ich vermissen werde.

*Alle bedanken sich beim Busfahrer, wenn sie aussteigen
*Alles wird überlackiert und glänzt
*Wenn die Sonne scheint, ist das Licht sehr schön
*Vorlesungen auf englisch klingen sehr elegant
*Die Kommentare der Profs sind sehr ermunternd ("brilliant!")
*Die Gärten sind hübsch
*Es gibt Pita-, Nan- und Fladenbrot, Tortillawraps in allen Ausführungen
*Die Nostalgie nach Victorian-Empire-Zeiten treibt lustige Blüten
*Überall hoppeln Hasen 
*Alles ist aus Backstein
*Die Food Hall ist eine alte Scheune und man kann 
sehr leckere Sachen bestaunen (sie zu essen ist sehr teuer, geht aber auch)
*Man kann sich herrlich über die extraordinary capacity for hypocrisy der Nachbarn aufregen
*In London kommt alles zusammen, was es so gibt auf der Welt

26.07.11

Bye-bye











Ich habe England noch gar nicht Tschüs gesagt, von daher geschieht das jetzt auf bildliche Art und Weise. Vielleicht braucht es einfach diese Zeit (also genau drei Wochen), um zu merken, dass es tatsächlich vorbei ist. Alles ein wenig nachklingen lassen. Wenn ich einen Ort wechsle oder nachdem ich ihn gewechselt habe, stellt sich immer erst eine Euphorie ein, ich genieße das Neue oder das Alte-Wiedergefundene und irgendwann erledigt die Zeit dann ihr Übriges und ich beginne, bestimmte Dinge zu vermissen und den ganzen Aufenthalt nochmal Revue passieren zu lassen. Vermissen werde ich Humus aus dem Supermarkt, die Umgangsformen, die englische Sprache und zu-Hause-ganz-albern-Sein.  

05.06.11

City of London







Diese Bilder sind zwar von Februar oder März (habe einen Schwarz-Weiß-Film endlich aus der Versenkung geholt), aber wettertechnisch sieht es im Moment ganz genauso aus. Nicht kalt, nicht warm, und das das ganze Jahr über. London ist groß und es wird viel gebaut. Bald fahre ich mal wieder hin. Es gibt noch viel zu erkunden und schließlich werde ich, wie es aussieht, in absehbarer Zeit in London wohnen. Tja, ganz komisch noch der Gedanke, dass ich das jetzt schon weiß. 

01.06.11

Black and White




Whitstable.
Am Meer in England im Frühling.

31.05.11

Black or White



Ich habe erst im Leeds Castle, das sich nicht in Leeds befindet, gelernt, dass es auch schwarze Schwäne gibt. Das Schloss ist auf einer kleinen Insel in einem kleinen See erbaut und sehr alt. Es hat so einige Belagerungen mitgemacht und wurde schließlich in den 1950er Jahren von Lady Baillie gekauft, da sie es schmuck fand und das nötige Kleingeld besaß. Und, wie das so ist bei Schlössern, gehören auch Schwäne dazu. Die Lady hat die schwarzen Schwäne aus Australien mitgebracht, die sich als Markenzeichen im Schlosssee reproduzieren durften. Sie hat auch jedes ihrer Handtücher mit den schwarzen Schwänen besticken lassen. Und, auch wenn es nichts mit Schwänen zu tun hat, sie hat mit 32 Jahren ihren dritten Mann geheiratet und sich mit 45 wieder geschieden. Das Leeds Castle war demnach ihre am längsten währende Liebe.