| Aene Gespinst |






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27.08.11

Über Kunst schreiben

Sunflower Seeds von Ai Weiwei



In zwei Ausstellungen war ich in letzter Zeit, die mir wirklich sehr gut gefallen haben.
1. in der Gabriel Orozco-Ausstellung in der Tate Modern, woher auch die Bilder stammen und 2. in der Sibylle-Bergemann Ausstellung im C/O Berlin. (Hier und hier waren schon begeisterte Bloggerinnen dazu zu lesen).

Gabriel Orozco macht aus Alltagsgegenständen, also oft aus scheinbar nichts, Kunst. Es ist trotzdem nie banal, aber auch nicht aufgeregt; er verpasst Dingen einfach einen kleinen „Twist“, eine Ironie oder eine unaufdringliche Dramatik. Das an sich ist sehr beeindruckend und unterhaltsam. Orozco hat zum Beispiel einen menschlichen Schädel mit einem unglaublich regelmäßigen Schachbrettmuster bemalt (Bleistift!); er hat einer Portion Ton die Form des Hohlraums zwischen seinen Händen gegeben (sieht aus wie ein Herz); er hat ein Auto (eine DS) zerschnitten, den Mittelteil herausgenommen und wieder zusammengebaut; er ist mit einer gelben Schwalbe durch Berlin gefahren und hat alle anderen gelben Schwalben fotografiert; er hat auf ein Klavier gehaucht und seinen Atem fotografiert, bevor dieser ganz schnell wieder verschwunden wäre; er hat einen Ventilator mit Klopapierrollen behängt, was sehr graziös aussieht, wenn der sich dreht; er hat eine große Gummikugel durch Berlin gerollt, in der sich dann die Abdrücke der Stadt wiederfanden, usw. Ich stelle mir da einen Künstler vor, der seine Umwelt aufmerksam und sehr verspielt wahrnimmt und einfängt und das allein ist doch vollkommen ausreichend.

Die Beschreibungen in dem kleinen Faltblatt, das es am Eingang der Ausstellung gab, nehmen dem ganzen jedoch seine Subtilität und haben mich wie häufig eher genervt. Die Objekte werden mit symbolischer Kraft überladen oder mit nichtssagenden Worthülsen beschrieben, wo es eigentlich nichts zu beschreiben gibt.
Orozco hat zum Beispiel eine Skulptur gemacht, die aus den Haar-, Haut- und Stoffresten besteht, die sich als filzige Lappen in Waschmaschinen öffentlicher Waschsalons sammeln. Diese Lappen hat er über Leinen gehängt und da hängen sie und jeder sieht etwas anderes darin. Die Beschreibung sieht darin „a meditation on the body and the precariousness of human life“ und: „in the immediate aftermath of September 11 the ash-coloured lint took a poignant significance“  - das scheint mit doch ein bisschen dick aufgetragen, Leben, Tod und Terror – alles soll in diesem Objekt stecken! Ich finde die Haarlappenaktion schon so einfallsreich und eklig an sich, dass ich darin nicht noch den 11. September sehen muss. Faszinierend, dass Orozco den Ekel vor den Fetzen überwunden hat. Andererseits kommen sie ja frisch aus der Waschmaschine.

Ein anderes Phänomen in Ausstellungsbroschüren ist eine beliebige Sprache, angereichert mit ein paar modernen Schlagworten, die dem Betrachter vermitteln sollen, dass jede Interpretation möglich und eine Festlegung unzulässig ist. Zu Sibylle Bergemanns Polaroid-Ausstellung liest man: „Ihre Fotografien sind vielschichtig (...), so dass man sie immer wieder anders, neu betrachten und verstehen kann.“ – Wer hätte sich das ohne diesen Satz getraut? Außerdem wird darauf hingewiesen, dass eine Fotografie „vergänglich ist“, das Jetzt ist auch „flüchtig, fragil und (...) schwer zu fassen“, „Augenblick und Ewigkeit“ liegen aber dennoch nah beieinander auf einem Foto und schließlich sind „genau diese oszillierenden Ebenen und das Vergängliche in all ihren Bildern unverwechselbar.“ Aha. Das wird Bergemann nicht gerecht, denn eigentlich hält doch jedes Foto einen vergänglichen Moment fest, der sich nicht reproduzieren lässt.

Ich warte noch auf Kunstbeschreibungen, die das Kunstwerk nicht mit Bedeutung erdrücken, die noch gewaltiger als die Kunst daherkommen möchten, die andererseits aber auch nicht ganz so nichtssagend sind! 

1 Kommentar:

  1. unbedingt, du hast vollkommen Recht, was die oft als "einführenden" Texte dargelegten BEschreibungen in Kunstausstellungen angeht. Noch frappierender fand ich im c/o aber die Einleitung zu crewdson. es war nicht schlecht geschrieben, loins de là, aber so wortgewaltig und vollgepackt mit Bedeutung und Tiefe suchender Emotion, dass dem Betrachter kein eigener Spielraum für Eigeninterpretation bleibt. Heute Abend ist die lange NAcht der Museen, mal schauen, ob die Renaissance-Gesichte und der Japaner Hokusai auch wieder vorweggenommen werden. Katastrophentechnisch ist bei Hokusai ja eingies möglich...

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